Auf roten Socken unterwegs – zur Neugründung der Heslacher NaturFreunde vor 75 Jahren

Bei der Einweihung des  “Rote-Socken-Wegs” am 2. Mai 2010 ging es durch den Wernhaldenpark in Richtung Haigst

Die meisten dürften das aus dem privaten Bereich kennen: wenn sich die Geburts- und Jahrestage häufen, kann es schon einmal passieren, dass man das ein oder andere Jubiläum verpasst! So ähnlich ging es im zurückliegenden Jahr auch den NaturFreunden in Heslach: klar war, dass zusammen mit den anderen Gruppen an die Gründung der NaturFreunde als touristische Gruppe für Arbeiter und ihre Familien vor 125 Jahren in Wien erinnert werden sollte. Hierzu gab es Mitte September eine Feier unter freiem Himmel mit reduzierter Teilnehmerzahl im NaturFreunde-Stadtheim Fuchsrain. Und am 10. Oktober dieses Jahres konnte dann auch endlich zum 10jährigen Jubiläum des NaturFreunde-Wegs Stuttgart-Süd („Roter-Socken-Weg“) die wegen Corona mehrmals verschobene Wanderung auf dem kompletten Rundweg mit erneuerter Markierung ab Marienplatz durchgeführt werden. Bei all dem geriet der 75. Jahrestag der Neugründung der Heslacher NaturFreunde nach Nazi-Diktatur und Zweitem Weltkrieg etwas aus dem Blick.

Die NaturFreunde waren schon vor 1933 und auch vor dem 1. Weltkrieg in Heslach aktiv gewesen. Glaubt man einer Karteikarte aus dem Jahre 1947, hatte sich die Gruppe Heslach schon 1909 gegründet – das wäre dann allerdings noch vor der offiziellen Gründung der Stuttgarter Ortsgruppe am 20. April 1910 im „Goldenen Bären“ in der Esslinger Straße (damals Gewerkschaftszentrale, heute Breuninger-Parkhaus) gewesen!?

Das „rote Heslach“ wurde von den Nazis lange gemieden. Politisch spielten hier in den zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre neben den Arbeiterparteien insbesondere „der Gesangverein ‚Freya‘, die Naturfreunde und die Arbeiterturner eine große Rolle“ (Frieder Wurm, damals Vorsitzender des SPD-Bezirks Heslach). Trotz Verbot, Verfolgung und Krieg hielten die Heslacher NaturFreunde auch in der Zeit von 1933 bis 1945 den Kontakt untereinander aufrecht.
So kam es denn auch nicht von ungefähr, dass sie sich bereits im Spätsommer 1945 im Waldheim Heslach zu ihrer Gründungsversammlung trafen und damit die erste Gruppe waren, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Stuttgart neu gründete. Auf der Generalversammlung vom 22. Februar 1947, die im „Rebstöckle“ (seit 2010 Linkes Zentrum „Lilo Herrmann“) stattfand, berichtete für den Vorstand Andreas Fassnacht, dass die Heslacher auch die erste Gaukonferenz organisiert hatten, die Vorträge an den Vereinsabenden belehrender und unterhaltender Natur waren und schon im April 1946 eine Jugendgruppe ins Leben gerufen wurde.
Bald sollten eine Musikgruppe, eine Wintersportabteilung und eine Kindergruppe folgen. Wanderungen und Ausfahrten (z.B. auf die Alb) gehörten ebenso zum Programm wie größere kulturelle Veranstaltungen: Vorträge, Lichtbilder oder Volkstanz.
Am 14. April 1947 wurde dem Touristenverein „Die Naturfreunde“ Gruppe Heslach vom Bürgermeisteramt und der Militärverwaltung die Lizenz erteilt. Auflage: keine politische Betätigung innerhalb des Vereins! Der Landessportverband Württemberg, dem sich der Landesverband der NaturFreunde kooperativ angeschlossen hatte, bescheinigte am 3. September 1947 dem Schreiner Alfred Schimpf aus Stuttgart-Süd, dass er als Vorsitzender der Ortsgruppe Heslach des Touristenvereins „Die Naturfreunde“ berechtigt und verpflichtet ist, deren Interessen wahrzunehmen.

Die Heslacher NaturFreunde sind seither immer wieder neue Wege in der Vereinsarbeit gegangen und haben sich auch nie gescheut, „heiße Eisen“ anzufassen und zu aktuellen Problemen Stellung zu beziehen:

Heiße Eisen angefasst

  • Im Juni 1957 trafen sich erstmals die NaturFreunde-Frauen in einer eigenen Gruppe, um sich über ihre Belange auszutauschen. Motto: „Des Sach g’hört g’schwätzt!“ Diese Frauengruppe besteht als Angebot für alle Stuttgarterinnen bis heute – sie trifft sich normalerweise an jedem 4. Donnerstag im Monat um 18 Uhr in der Begegnungsstätte Süd im Alten Feuerwehrhaus (Kontakt: Christel Gerstenäcker, Schlosserstr. 23, 70180 Stuttgart, Telefon 0711-6494016, cp-graf-ge@t-online.de).
  • In den fünfziger und sechziger Jahren protestierten die NaturFreunde und andere Gruppen gegen die Lärmbelästigung durch die Nutzung der Dornhalde als Schießplatz. Im Herbst 1956 fand dazu eine Kundgebung auf dem Bihlplatz mit Helene Schoettle als Hauptrednerin statt. Der Vorschlag der Jahreshauptversammlung vom Februar 1965, das Gelände zur Erweiterung des Waldfriedhofs zu nutzen, war letztlich erfolgreich. Dank einer 2014 gegründeten Initiative konnte das ehemalige Garnisonsschützenhaus auf der Dornhalde erhalten werden. Aus der Initiative wurde mittlerweile ein eigener Verein, der sich um die Gestaltung des Anwesens als „Haus der Ruhe“ kümmert (www.garnisonsschuetzenhaus.de).
  • Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre traf sich die Schülergruppe der NaturFreunde im Jugend(club)haus Heslach in der Böblinger Straße. Als das Haus mehrfach von rechtsextremen Randalierern aus dem Umfeld der NPD („Aktion Widerstand“) heimgesucht worden war und die Übergriffe sich zunehmend auch gegen die Besucher des Hauses richteten, waren die jungen NaturFreunde froh, im „Turmstüble“ des Feuerwehrhauses unterkommen zu können. Über die B 14 rauschten damals täglich 50.000 Autos durch Heslach, das fragwürdige Ideal der autogerechten Stadt war ungebrochen und das Alte Feuerwehrhaus als Verkehrshindernis vom Abriss bedroht. Zusammen mit den Jusos und anderen Jugendverbänden unterstützte die NaturFreundeJugend Dieter Blessings Vorschlag, das Gebäude zu erhalten, es unter Denkmalschutz zu stellen und als Treff für Jung & Alt auszubauen.
  • In den siebziger und achtziger Jahren waren – wie das wohl üblich ist – jüngere und ältere NaturFreunde nicht immer einer Meinung. Die Themen bei den Veranstaltungen von Ortsgruppe und Jugendgruppe waren aber ähnlich. Man beschäftigte sich mit Gott und der Welt, wollte zumindest die Wale, aber meist gleich den Weltfrieden retten! Da hier weiterhin Handlungsbedarf besteht (Stichwort Klimakatastrophe) möchten die NaturFreunde mit entsprechenden Angeboten verstärkt um Nachwuchs werben – aktuelle Infos für interessierte Kinder und Jugendliche gibt es bei der NaturFreundeJugend Württemberg, Neue Str. 150, 70186 Stuttgart, Telefon 0711-481077, info@nfjw.de
  • Die Verkehrs- und Wohnsituation in der früheren „Schwabenbronx“ blieb auch in den 1990er Jahren ein kommunalpolitischer Dauerbrenner und ein Thema, bei dem sich die NaturFreunde einmischten. Dass eine verkehrspolitisch vernünftige Entscheidung sogleich wieder ad absurdum geführt werden kann, zeigte das Beispiel Ortsumfahrung Heslach. Mit dem Heslacher Tunnel konnte der Stadtteil zwar vom Durchgangsverkehr entlastet werden, doch der vierspurige Neubau der B 14 zum Schattenring inklusive Doppelbrücke über das Nesenbachtal brachte insgesamt mehr Verkehr (in ganz Stuttgart) und mehr Staus (vor dem Tunnel bzw. auf der Brücke).

Stammtisch und Stolpersteine

  • Aus einer Veranstaltung zu dieser Problematik im April 1991 („Heslach 2000: Grünes Licht für Lebensqualität!?“) entstand auch der Stadtteil-Stammtisch als neuartige Kooperation zwischen der NaturFreunde-Ortsgruppe und der evangelischen Kreuzkirchengemeinde („Keine Parteipolitik, sondern Gespräche über Heslach, das, was uns berührt“). Neben praktischen Vorschlägen für das (Zusammen-)Leben im Stadtteil wurden beim Stammtisch ebenso Diskussionen „über den Tellerrand hinaus“ geführt.
    Eine Veranstaltung im Oktober 2003, bei der der frühere Bezirksvorsteher Siegfried Bassler über „Heslach im Dritten Reich“ und das Schicksal der ehemaligen jüdischen Nachbarn referiert hatte, gab dann den Impuls zur Gründung der Stolperstein-Initiative Stuttgart-Süd. Bis heute hat sie zusammen mit dem Künstler Gunter Demnig 128 Kleindenkmale im Stadtbezirk zur Erinnerung an Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verlegt (die für den 12. Dezember 2020 vorgesehene Stadtteil-Erkundung „Widerstand gegen Hitler & Krieg“ rund um die Matthäuskirche kann wegen der aktuellen Corona-Lage leider nicht wie geplant stattfinden und ist auf das nächste Jahr verschoben;  für den 27. Januar 2021  ist eine Stolperstein-Putzete angedacht, die ggf. am 8. Mai 2021 fortgesetzt wird – Näheres jeweils auf www.hotel-silber.de und/oder www.stolpersteine-stuttgart.de ).
  • Auftritte bekannter Kabarettisten wie Uli Keuler, Reiner Kröhnert oder Werner Koczwara im großen Saal des Feuerwehrhauses waren in den neunziger Jahren kulturelle Highlights für die NaturFreunde und den Stadtbezirk. 2017 traf das Ruhrpott-Duo Ape & Feuerstein mit Liedern wie „Hauptsache dass er kein Banker ist“ oder „Ich will meine Stadt nicht braun“ den Nerv der Zeit. Auch wegen der Corona-Pandemie streben die NaturFreunde künftig gemeinsame Freiluft-Veranstaltungen mit dem Waldheim Heslach und dem Theater am Olgaeck an.

Wanderwege sind der “Markenkern”

  • Die Erschließung neuer Wanderwege und Spaziergänge durch und um den heimischen Stadtbezirk herum sind und bleiben fester Bestandteil des Programms und Markenkern der Heslacher NaturFreunde. Zum 100jährigen Bestehen der Stuttgarter NaturFreunde wurde am 2. Mai 2010 der NaturFreunde-Weg Stuttgart-Süd eingeweiht. Die Idee entstand im Rahmen des Ausschusses „Plätze, Parks & Panoramen“ des Bezirksbeirats Stuttgart-Süd. Der Volksmund war sofort zur Stelle und gab dem neuen Wanderweg seinen Namen: “Roter-Socken-Weg”. Neben zahlreichen Bezügen zu Geschichte, Kultur und Architektur des Stadtbezirks hat der rund sieben Kilometer lange Weg auch landschaftlich einiges zu bieten und betont die Eigenart der Stadt zwischen Wald und Reben.
    Seit 2012 weist eine Tafel am Marienplatz auf die hier beginnenden Rundwanderwege des Albvereins („Blaustrümpflerweg“) und der NaturFreunde („Roter-Socken-Weg“) hin.
    Dieses Jahr fiel sie wegen Corona aus, aber sonst gab es seit 2013 zum Start der Wandersaison im Frühjahr immer eine gemeinsame Veranstaltung von Albverein, Bürger- & Gartenbauverein, NaturFreunden und – seit 2018 – Waldheimverein Heslach. Meist führten diese Frühjahrsspaziergänge auf Teilstrecken der beiden Wege, häufig wurden dabei aktuelle Probleme und/oder Projekte angesprochen. Für 2021 hoffen wir darauf, am 17. April wieder gemeinsam in die Wandersaison starten zu können!? Auch Führungen auf dem „Roten-Socken-Weg“ sowie Wanderungen zu den Heslacher Wasserfällen, der Schwälblesklinge und zu attraktiven Zielen in der Region (Remstal, Schwäbische Alb) sollen wieder angeboten werden! Was genau wann wieder möglich sein wird, lässt sich im Moment noch nicht sagen. Es spricht aber nichts dagegen, sich alleine oder – mit genügend Abstand – auch in Kleingruppen auf die Socken zu machen. Das Wandern ist auch in der Pandemie eine gute Möglichkeit, freie Zeit sinnvoll und gesund zu verbringen, zumal viele Kleinode der Naherholung direkt vor der Haustüre liegen. Und schon Friedrich Schiller wusste: „Der gebildete Mensch macht sich die Natur zum Freund.“

Werner Schmidt

Dieser Artikel ist erstmals in der aktuellen Ausgabe des “Blättle Stuttgart-Süd” (Dezember 2020/Januar 2021) erschienen, das flächendeckend in Stuttgart-Süd verteilt wird und an ca. 100 Auslegestellen in Stuttgart-Süd und angrenzenden Stadtbezirken erhältlich ist (www.blättle-süd.de). Regelmäßige Informationen über die Aktivitäten der Heslacher NaturFreunde gibt es auch im Newsletter für Stuttgart-Süd www.stuttgart-sued.info oder unter nachstehenden Adressen:

NaturFreunde in Heslach e.V., Werner Schmidt, Altenbergstr. 49, 70180 Stuttgart, Telefon 0170-9069953, werner.schmidt@t-online.de
Programmhinweise der Stuttgarter NaturFreunde unter: https://naturfreunde-stuttgart.de/
Der Rote-Socken-Weg mit Flyer-Download: https://www.naturfreunde.de/Rote-Socken-Weg
Private Website zu Stuttgart-Heslach: www.heslach-home.de