Erinnerungsprojekt: Denkmal „Chile 1973“ am Santiago-de-Chile-Platz
In Stuttgart-Degerloch befindet sich unweit der Gemarkungsgrenze zu Stuttgart-Süd der schon in den 1870-er Jahren und dann wieder Anfang der 1970-er Jahre vom Verschönerungsverein angelegte Aussichtspunkt „Auf dem Haigst“ (Einweihung am 4. Juli 1972). Am 21. Oktober 2006 wurde der Aussichtspunkt auf dem Haigst auf Anregung von Georg Kieferle im Beisein von OB Schuster und der chilenischen Botschafterin Hornkohl in Santiago-de-Chile-Platz umbenannt und war damit der Erste nach einer Stadt benannte Aussichtsplatz Stuttgarts. Auf dem Platz stehen u.a. eine Moai-Statue von den Osterinseln sowie eine Büste der chilenischen Dichterin und Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral. Die bisherige Gestaltung des Platzes spiegelt die Vielfalt der Geschichte der chilenisch-deutschen Beziehungen jedoch nur unzureichend wider, wie auch Klaus-Jürgen Ledebur von den Degerlocher NaturFreunden in einem Gast-Beitrag für das Degerloch-Journal dargelegt hat (PDF). Bei den Wanderungen der Heslacher NaturFreunde zum Santiago-de-Chile-Platz, der sowohl Teil des NaturFreunde-Wegs Stuttgart-Süd („Auf roten Socken unterwegs“) als auch des etwas älteren „Blaustrümpflerwegs“ des Schwäbischen Albvereins ist, gab es immer wieder Stimmen, dass an dieser Stelle auch an den anderen chilenischen Nobelpreisträger Pablo Neruda und zugleich an den Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Regierung der Unidad Popular erinnert werden sollte. Anlässlich des 50. Jahrestags der Ereignisse von 1973 hat dann im Oktober 2023 der Deutsch-Chilene Juan Rojas-Vasquez, dessen Angehörige damals von der chilenischen Militärjunta ermordet wurden, einen Gedenkort für die Opfer der chilenischen Militärdiktatur am Santiago-de-Chile-Platz im Stadtteil Degerloch angemahnt (Gedenkort Santiago-de-Chile-Platz). Daraufhin nahmen wir Kontakt zu Herrn Rojas-Vasquez und der chilenischen Community in Stuttgart auf. Über unser gemeinsames Anliegen führten wir in der Folgezeit Gespräche u.a. mit dem Bezirksbeirat und der Geschichtswerkstatt Degerloch sowie dem Kulturamt und dem Verschönerungsverein Stuttgart.
Mittlerweile gibt es einen gemeinsamen Entwurf der bekannten Stuttgarter Bildhauer Joachim Sauter und Wolfram Isele für das Erinnerungsprojekt: Denkmal „Chile 1973“ (siehe unten und hier). Die bildhauerische Gestaltung bringt Elemente von zwei unabhängig voneinander entstandenen Vorarbeiten zusammen und ermöglicht neben einer angemessenen Form des Erinnerns auch eine in den Platz eingebettete Realisierung des Projekts. Der vorgeschlagene Aufstellungsort des Denkmals „Chile 1973“ (die vom Eingang her gesehene linke, tiefer liegende Seite im leicht abschüssigen Gelände) fand bei einem Ortstermin am 17. September 2025 auch die Zustimmung der zahlreich vertretenen Anwohnerinnen und Anwohner aus Degerloch und dem Haigst.
Unterstützung für das Projekt erhielten wir auch von Jürgen Szurglies aus Chile, der dort jahrzehntelang in der berüchtigten Sektenkolonie Colonia Dignidad gefangen gehalten und misshandelt wurde (Grußwort aus Chile). Um Nägel mit Köpfen zu machen, bedarf es jetzt einer positiven Entscheidung des Gemeinderats, an den wir bereits am 18. Juni 2025 einen entsprechenden Antrag gestellt haben (PDF). Trotz angespannter Haushaltslage würde es der Landeshauptstadt gut anstehen, mit der Einrichtung eines solchen Gedenkortes ein Zeichen für Austausch, Dialog und Verständigung zu setzen, das über die Grenzen Stuttgarts hinauswirkt (vgl. hierzu auch den Artikel von Petra Bail im Degerloch Journal)!
Werner Schmidt
Über ihren Entwurf für das Denkmal „Chile 1973“ am Santiago-de-Chile-Platz in Stuttgart-Degerloch schreiben Sauter und Isele:
Unser gemeinsamer Entwurf nimmt Bezug auf die beiden eigenständigen Entwurfsideen und entwickelt diese weiter. Das Architekturelement des Entwurfs von Wolfram Isele, das auf die Opfer des Putsches im Fußballstadion von Santiago verweist, haben wir mit dem poetischen Ansatz des Entwurfs von Joachim Sauter zusammengebracht. Das eröffnet neue Möglichkeiten der Interpretation. Das zeitbezogene Gedenken wird um eine reflektierende Sicht erweitert, man könnte sagen, Poesie wächst aus dem Zeitgeschehen, ganz so wie es auch Pablo Neruda für sich sah. Dieser Spannungsbogen wird durch die Verwendung von dunkelgrauem Beton und weißem Marmor unterstrichen.
Der Aufstellungsort des Denkmals soll auf der vom Eingang gesehen linken, tiefer liegenden Seite der Aussichtsplattform im leicht abschüssigen Gelände sein. Die dem Platz zugewandte Seite zeigt die Betonwand mit einer flachen Struktur. Auf einer integrierten Eisenplatte ist das Portrait von Pablo Neruda platziert, das, in Marmor gearbeitet, in Richtung der Marmorskulptur blickt. Die Skulptur zeigt auf dieser Seite einen Turm der Empörten vor einem hoch aufragenden, schmalen Blütenblatt, eine Metapher, die Neruda in einem Gedicht für Chile verwendete. Dem Aufstreben der einen Seite sind Stürzende auf der anderen Seite entgegengesetzt, was den Aufstieg und Niedergang von Emanzipationsbewegungen reflektiert. Diese zweite Seite korrespondiert mit der Darstellung auf der Betonwand, die übersät ist mit Ritzungen, teils als Nachrichten erkenntlich, wie sie von Gefangenen in den Katakomben des Stadions gemacht wurden. Ein markanter Vorsprung erinnert im Ansatz an einen Eingang des Stadions.
Unter diesem Vorsprung soll eine Schriftplatte aus Eisenguss angebracht werden, die den geplanten Text zu dem Denkmal enthält…Die maximale Höhe des ausgeführten Denkmals beträgt 220 cm, Breite 100 cm…09/2025






